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Ist das Buch noch zu retten?

Die Buchbranche erlebt in den letzten Jahren einen gewaltigen Umbruch. Immer mehr im Vordergund steht bei diesem Umbruch der betriebswirtschaftliche Aspekt des Bücherproduzierens, -handels und -konsums.

Es findet auf dem Gebiet der Produktion eine gewaltige Konzentration statt. Wenige Großkonzerne beherrschen nicht nur die Produktion, sondern zunehmend auch den Handel. Ladenketten wachsen immer größer und kleinere Sortimentsbuchhandlungen geraten zunehmend in einen existenziellen Druck.

Natürlich hat das auch Folgen für die Inhalte der Bücher. Und diese Folgen sind fatal.

André Schiffrin, Verleger aus den USA, zeichnet diese Entwicklung und ihre Folgen der letzten 30 Jahre im US- amerikanischen Buchwesen nach[1]. Mit vielen anschaulichen Beispielen und auch lustigen Anekdoten zeigt er, was passiert, wenn man die Markttheorie auf die Vermittlung von Kultur anwendet. Die Ergebnisse sind verheerend: Wenige Großkonzerne teilen sich den Markt. Sie bestimmen aus rein ökonomischen Gründen, was erscheint. Das Niveau der Veröffentlichungen paßt sich dem Durchschnitt an, also dem Mittelmaß.

Der Buchinhalt steht in den seltensten Fällen im Mittelpunkt der Ãœberlegungen, sondern nur noch der Beitrag zur Umsatzrendite, schlimmstenfalls sind profane Machtinteressen des Konzerns maßgeblich (vor allem bei Bucherscheinungen von Politikern). Das Kapitel, in dem Schiffrin diesen Umbau beschreibt, trägt den passenden Titel „Demontagen“. Hier wird ein ganzes ehemals einigermaßen funktionierendes System des Büchermachens kaputtgemacht.

Wie kommt das Neue in die Welt? fragen nicht nur Anthroposophen. Schiffrin zeigt, daß es auch andere Möglichkeiten gibt, als die der Verwässerung, der Stromlinienförmigkeit, der Anpassung.

Nachdem sein Arbeitsplatz von Bertelsmann erst gekauft und dann inhaltsentleert wurde, stieg er aus und gründete einen neuen Verlag. Für ihn war die Frage, „ob sich vielleicht ein Weg finden ließe, einen Verlag ohne Eigentümer aufzubauen, einen gemeinnützigen Verlag (...) der sich an das allgemeine Lesepublikum wandte (...), der aber trotzdem intellektuelle und kulturelle Standards achtete“. Und das hat er dann gemacht.

Mit der Unterstützung von über 20 Stiftungen gründete er einen gemeinnützigen Verlag. Und seitdem steht der Buchinhalt an erster Stelle und die Frage, ob das bedruckte Papier verkäuflich ist wurde zweitrangig. „Unsere Bücher kommen auf Grund ihres intellektuellen Gewichts ins Programm und nicht etwa wegen ihres potentiellen Beitrags zum Bilanzertrag“, faßt Schiffrin seine Ziele zusammen. An dieser Stelle wurde ich beim Lesen ein bißchen stutzig: 75 Jahre plagen sich Anthroposophen mit der Gliederung des sozialen Organismus und bekommen noch nicht einmal so etwas zustande wie ein André Schiffrin, der aufgrund der kranken Verhältnisse in Amerika intuitiv das richtige tut! Das Wirtschaftsleben soll das Geistesleben fördern und bezahlen, so eine Forderung Steiners. Schiffrin hat für sich die Form gefunden, wie das gehen kann.

Klaus Wagenbach vergleicht im Nachwort die Verhältnisse von Amerika mit Europa. Und als langjähriger unabhängiger Verleger hat er sicher beste Einblicke. Noch gibt es in Europa ein traditionell starkes Netz von unabhängigen Buchhandlungen. Aber das Netz wird täglich grobmaschiger. Und auch die unabhängigen Verlage werden weniger. Und die Regeln des Marktes herrschen immer ungerührter: „Qualität wird, besonders wenn sie in ungewohnter Form auftaucht, in der Regel nicht erkannt, schon gar nicht vom Markt. Das Neue kommt auf leisen Sohlen, in kleinen Auflagen. (...) Wie groß ist das Interesse der Gesellschaft am Neuen, also an ihrer Zukunft?“ schreibt er kämpferisch, aber auch ein wenig resignativ im Nachwort.

Selbst große Verlage haben heute Probleme mit dem Verkaufen von hohen Auflagen. Klar, es gibt immer wieder die echten Bestseller, aber konkrete Zahlen rückt kaum ein Verlag heraus. Und das nicht ohne Grund. Denn die verkauften Auflagen werden immer niedriger. Immer mehr Bücher werden über kurz oder lang verramscht - oder nach erfolgter Abschreibung schlicht und einfach eingestampft. Die Menge der gedruckten Titel nimmt dagegen von Jahr zu Jahr noch zu. Woran liegt das? Sicherlich auch daran, daß sich viele Menschen nicht mehr vorschreiben lassen, was sie zu lesen haben oder was „gut” ist. Schließlich gibt es nicht nur eine, oder zwölf, nein, es gibt so viele Meinungen wie es Menschen gibt. Und dieses spiegelt sich in den Büchern wieder. Für mich ist die sogenannte „Titelflut”, die von vielen beklagt wird, ein Ausdruck von Kreativität und auch Produktivität des menschlichen Geistes. Natürlich auch mit allen Irrungen, die das so mit sich bringt. Aber absolut undenkbar, daß hier eine Zeit wiederkehrt, wo es nur wenige Bücher, wo es nur ein Buch - die Bibel - zu lesen gab.  Wenn aber hier eine so gewaltige Steigerung da ist, dann muß doch auch von Verlagsseite darauf reagiert werden. Die Technik ist vorhanden, auch für kleine Auflagen noch zu erschwinglichen Preisen ansprechende Bücher zu machen. Und sicherlich ist auch der Händler bereit, Qualität in allen Schattierungen anzubieten, wenn er es sich denn leisten kann. Aber bei wachsender Vielfalt bei Autoren und Lesern die Produktion auf wenige Titel zu konzentrieren ist eine absolut kontraproduktive Angelegenheit.

Früher half die Buchpreisbindung, die Vielfalt hochzuhalten. Da wurde noch mit dem Erlös der Massenware der anspruchsvolle Titel subventioniert. Aber wie sieht das heute aus? In den Konzernen wird die Preisbindung immer mehr dazu benutzt, die Gewinne zu maximieren. Und wenn man die anspruchsvollen Titel ganz streicht, kann man die eingesparte Subvention auf die Habenseite buchen. So jedenfalls ist das Verhalten vieler großer Verlag, vor allem aber der Großkonzerne. Und auch im Handel hat diese Philosophie immer mehr Raum gegriffen. Denn auch hier galt: Mit dem Erlös der Massenware konnte der Buchhändler das anspruchsvolle Sortiment vorrätig halten. Weltbild, Montanus, die Buchclubs, allen ist gemeinsam, daß das anspruchsvolle Sortiment gestrichen wurde. Zuletzt z. B. beim Bertelsmann-Club fast der komplette Bereich der Klassik im CD-Sortiment. Weltbildläden haben überall ein einheitliches Sortiment. Wie bei Aldi ist es völlig egal, in welchen Laden man geht, man bekommt immer das selbe serviert. Das interessierte Stöbern kann man sich schenken. Die Gewinnmaximierung steht im Vordergrund. Schiffrin spricht - und das gilt nicht nur für die USA - von einer geistigen Verarmung. Das freie Geistesleben wird durch die überschäumende betriebswirtschaftliche Denkungsart stranguliert.

 

Spannend wird es, wenn man sich dann anschaut, wie es eigentlich im anthroposophischen Buchhandel aussieht. Das anthroposophische Buch war einmal eine Wachstumsbranche, die neidvolle Blicke der Konkurrenz auf sich zog. Dies ist heute nicht mehr so. Stagnation bis zur Schmerzgrenze ist festzustellen. Es gibt immer weniger Freiraum, um das Sortiment zu gestalten. Die Kosten sind bereits auf das Minimum heruntergefahren, überall steigen die Nebenkosten, ohne daß der Umsatz steigerbar wäre. Das Sortiment leidet zwangsläufig darunter.

Die betriebswirtschaftlichen Schwierigkeiten sind nicht von der Hand zu weisen. Man spricht aber nicht gerne darüber, weil das ja immer mit einer gewissen Peinlichkeit verbunden ist. Dabei gibt es genügend Gründe, auch einen gehörigen Stolz zu entwickeln, denn was machen die anthroposophischen Verlage denn in aller Regel: sie verlegen in erster Linie Bücher, die anspruchsvolle Inhalte haben. Und zwar ausschließlich! Massenware, die man zur Subvention anderer Titel nutzen könnte, wird abgelehnt aus geistig-kulturellen Gründen. Wenn auf der Konzernseite die anspruchsvollen Titel verschwinden, so ist im Anthroposophischen Buchwesen der Schwerpunkt gerade hier gesetzt. Als das anthroposophische Buch noch eine Wachstumsbranche war, war das kein Problem. Aber jetzt ist es höchste Zeit, diese Priorität auch in die soziale Gestaltung zu bringen. Denn das anthroposophische Buch ist nicht wegzudenkender Teil des Geisteslebens. Geistesleben funktioniert aber nach anderen Gesetzmäßigkeiten als das Wirtschaftsleben. Wenn Schiffrin in Amerika es schafft, Gestaltungformen zu finden, die ein freies Produzieren von Bücher ermöglicht, dann ist das in Europa auch möglich. Versuche, das anthroposophische Buch betriebswirtschaftlich zu retten, führen zwangsläufig zu einer Verwässerung der Inhalte. Geistesleben ist nicht käuflich. Und wenn ja, ist es nicht frei. Wie aber kann das anthroposophische Buchwesen mit dem Druck fertig werden, ständig unwirtschaftlich zu arbeiten und Defizite zu erzeugen? Wirtschaften heißt: erzeugen, verteilen, verbrauchen. Geld ist nur das Rechtsmittel, dieses zu ermöglichen. Defizite im Geldstrom haben daher primär mit Wirtschaften gar nichts zu tun. Es ist ein rein soziales, kein wirtschaftliches Problem, daß die Erzeugungsleistung des Buchwesens heutzutage nicht aus sich selbst heraus honoriert werden kann.

Und hier sind natürlich auch die Leser gefordert. Beim Kaffeekaufen rückt der afrikanische oder südamerikanische Kaffeebauer mehr in den Blickpunkt als beim Bücherkaufen der Verleger. Sicherlich ist es bequem, sich von z. B. Amazon jedes beliebige Buch innerhalb eines Tages schicken zu lassen. Aber was hat das für Konsequenzen? Im Verkaufspreis eines jeden Buches sind Anteile enthalten für den Autoren, für den Verlag, für die produzierenden Betriebe und für den Handel. Als Käufer habe ich in der Hand, welchen Handel ich unterstützen möchte, den betriebwirtschaftlichen Überflieger, der auf geistige Verarmung, aber maximalen Gewinn setzt, oder aber den Buchhändler, der hinter den Inhalten der Bücher steht und auch solche Titel vorrätig und einsehbar hält, die nur alle Jubeljahre einmal verkauft werden (gewisse Bände der Steiner-Gesamtausgabe). Ein bewußtes Kaufverhalten wäre schon etwas, was helfen könnte. Und der Verzicht auf Bequemlichkeiten, die andere bieten, z. B. der Buchdrogist um die Ecke. Wir kaufen ja auch nicht Arztromane, weil sie billiger sind. Aber wem wir die Mark für die Ware in die Hand drücken ist von ebenso entscheidender Bedeutung.

Daß jahrelang in einer Stadt wie Frankfurt keine Buchhandlung mit anthroposophischem Vollsortiment existierte, wird nicht als Mangel empfunden. Irgendwie kam man ja doch an die Bücher heran. Warum gab es keinen Aufschrei „Wir brauchen einen anthroposophischen Buchhändler!“?


 

[1] André Schiffrin: Verlage ohne Verleger. Mit einem Nachwort von Klaus Wagenbach, Berlin 2000

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