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Joseph Beuys, soziale Dreigliederung und die Aktion Volksentscheid

Diesen Artikel schrieb ich zusammen mit Angelika Gausmann. Er erschien in der Paderborner Studentenzeitung “Der Druck”

Beschäftigt man sich mit Joseph Beuys, so kann man nicht an der Dreigliederung des sozialen Organismus nach Rudolf Steiner vorbei. Wenn auch meist diese Tatsache verschwiegen wird, da die Idee mit viel Arbeit verbunden ist und unserer Bequemlichkeit entgegenstrebt, so ließ Beuys doch selber kaum eine Gelegenheit aus, um auf diese wichtige Grundlage seines Schaffens hinzuweisen. Zuletzt tat er das recht eindrucksvoll in der Rede zur Verleihung des Wilhelm-Lehmbruck-Preises an ihn, Anfang 1986:

“Als ich an ein plastisches Gestalten dachte, das nicht nur physisches Material ergreift, sondern auch seelisches Material ergreifen kann, wurde ich zu der Idee der sozialen Plastik regelrecht getrieben (...)  denn ich fand eines Tages in einem verstaubten Bücherschrank den sehr oft unterdrückten Aufruf von Rudolf Steiner von 1919 an das deutsche Volk und die Kulturvölker. Dort wurde der Versuch gemacht, den sozialen Organismus auf einem völlig neuen Fundament aufzubauen. Nach den Erfahrungen des Krieges (...)  steht also ein Mann auf und sieht die Gründe für diesen Krieg in der Ohnmacht des Geisteslebens.“ Steiner sah in der Gesellschaft drei unterschiedliche Bereiche mit unterschiedlichen Strukturen und Eigenarten vermischt. “Das wirtschaftliche Leben kann nur gedeihen, wenn es als selbständiges Glied des sozialen Organismus nach seinen eigenen Kräften und Gesetzen sich ausbildet, und wenn es nicht dadurch Verwirrung in sein Gefüge bringt, daß es sich von einem anderen Gliede des sozialen Organismus, dem politisch wirksamen, aufsaugen 1äßt. Dieses politisch wirksame Glied muß vielmehr in voller Selbständigkeit neben dem wirtschaftlichen bestehen, (...) ihr heilsames Zusammenwirken kann nicht dadurch erreicht werden, daß beide Glieder von einen einzigen Gesetzgebungs- und Verwaltungsorgan aus versorgt werden, sondern daß jedes seine eigene Gesetzgebung und Verwaltung hat, die lebendig zusammenwirken. Denn das politische System muß die Wirtschaft vernichten, wenn es sie übernehmen will und das wirtschaftliche System verliert seine Lebenskräfte, wenn es politisch werden will. Zu diesen beiden Gliedern des sozialen Organismus muß in voller Selbständigkeit und aus seinen eigenen Lebensmöglichkeiten heraus gebildet ein drittes treten: das der geistigen Produktion, zu dem auch der geistige Anteil der beiden anderen Gebiete gehört, der ihnen von dem mit eigener gesetzmäßiger Regelung und Verwaltung ausgestatteten dritten Gliede überliefert werden muß, der aber nicht von ihnen verwaltet und anders beeinflußt werden kann, als die nebeneinander bestehenden Gliedorganismen eines natürlichen Gesamtorganismus sich gegenseitg beeinflussen.“ ( Aus: Rudolf Steiner: Die Kernpunkte der sozialen Frage, Dornach 1980, S. 127f)
Im Bewußtsein der Menschen sind diese Bereiche immer noch nicht genügend voneinander getrennt. Wirtschaftsboykotte werden als politisches Druckmittel eingesetzt, Hochschulen werden von wirtschaftlichen Interessengruppen gestaltet, und so lassen sich tausend Mißstände aufzählen. Doch wird auch an vielen Stellen versucht, die soziale Dreigliederung zu leben. Ein Beispiel hierfür sind die zahlreichen Waldorfschulen, auch einige Wirtschaftsunternehmen und viele kleine soziale Gemeinschaften. Der Impuls, den Rudolf Steiner 1919 mit einem Flugblatt in die Welt setzte, hat sich trotz vielen Anfeindungen langsam entwickelt und wird immer wieder aufgegriffen.

Ausgehend von Rudolf Steiners Konzept der Dreigliederung des sozialen Organismus entwickelte Joseph Beuys seine Idee der sozialen Plastik. Er erkannte, daß sich im abendländischen Denken eine Polarität zwischen Wissenschaft und Kunst entwickelt hat. Das ist auch die Polarität zwischen Verstand und Gefühl. Diese scheinbar unüberbrückbare Kluft sah er als Ursache für die “Ohnmacht des Geisteslebens“. Und ohne ein gesundes Geistesleben wird auch der gesamte soziale Organismus unharmonisch. Das abendländische Denken mit seinem Dualismus ist aber mit langer Tradition in den Köpfen der Menschen verwurzelt. Und genau da wollte Beuys mit seiner Kunst ansetzen und die starren Formen aufweichen. Mit seiner Idee der sozialen Plastik wollte er die Menschen selber zum Inhalt seiner Kunst machen. Er wollte mit seelischem Material arbeiten und plastizieren. Alle seine Kunstwerke leben aus diesem Dualismus heraus.

Beuys Kunstkonzept ist enorm in die Zukunft gerichtet, als großes Ziel steht die Verwirklichung der sozialen Dreigliederung. Auf diesen Weg wollte er uns stoßen mit seinen Aktionen. Die soziale Plastik arbeitet direkt mit und in den Seelen der Menschen und soll sie zur Dreigliederung erziehen. Der sozialen Dreigliederung soll die menschliche vorangehen. Und diese sieht Beuys im Ungleichgewicht, gestört durch das polare Denken unserer Zeit. Hier muß jeder dran arbeiten, sich selbst verändern. “Jeder Mensch ist ein Künstler“ hat Beuys oft gesagt. Hier ist der Punkt, wo er ansetzt. Der Mensch muß sich selbst verändern und dadurch die Gesellschaft, den Gesamtorganismus. Soziale Plastik heißt Veränderung der Verhältnisse und des Menschen, die Kluft im Geistesleben soll geschlossen werden. Beuys sieht, daß “alles, was in der Zukunft geschehen wird durch die Menschen auf der Erde —  denn durch wen sollte es sonst geschehen? —  eine Schöpfung des Menschen ist. Alle zukünftige Natur, jeder von nun an gepflanzte Baum, trägt die Merkmale des Menschen an sich. Jedes zukünftig getane Werk ist in viel weiterem Maße eine Schöpfung des Menschen als in jeder Vergangenheit.“ (J. B.: Aktive Neutralität)

Das Werk von Joseph Beuys, seine soziale Plastik, kann von uns noch weitergearbeitet werden. Sie ist erst beendet mit der verwirklichten Dreigliederung. Heute, zwei Jahre nach Beuys Tod, gibt es schon Tendenzen, das bedeutende Werk zu Kunsthandelsobjekten und Museumssensationen zu degradieren. Hat man Beuys noch nicht verstanden, oder will man seine unbequemen Gedanken schnell verdrängen?

Im letzten Jahr lief mit viel Getöse die Volkszählung über die Bühne. Der Widerstand der Bürger/innen war groß, wenn auch nicht übermäßig. Aber immerhin sprachen sich bei Umfragen zwei Drittel gegen die Zählung aus. Das Mißtrauen war nicht zu kaschieren, es richtete sich vor allem gegen die moralische Integrität der verantwortlichen Staatspraxis. Es wurde richtig erkannt, daß heute wieder eine faktisch gleiche Basis besteht, wie sie 1933 durch das Dritte Reich ausgenutzt wurde. Sicherlich ist das ein Mißstand, der letztendlich auf eine Ohnmacht des Geisteslebens zurückgeht, wie Beuys es ausdrückte. Beuys war auch politisch aktiv. Zum Beispiel war er Gründungsmitglied der GRÜNEN, die bisher als einzige Partei im Parlament die Idee der sozialen Dreigliederung überhaupt ausgesprochen haben. Auch machte sich Beuys für eine direktere Demokratie stark, 1972 veranstaltete er auf der Dokumenta 5 in Kassel seine Aktion: “Boxkampf für direkte Demokratie“. Wesentlich beteiligt war er auch an der Aktion Volksentscheid. Diese basisdemokratische Initiative will zu allen wesentlichen Fragen der Politik Volksabstimmungen durchsetzen. Also nicht, wie es gerade passierte, Daten, reine Äußerlichkeiten abfragen, sondern die Meinung des Volkes in aktive Politik durchsetzen. Natürlich geht das nicht ohne eine große Verantwortungsfähigkeit des Einzelnen, also ein gesundes Geistesleben. Die Aktion Volksentscheid setzt sich für das fundamentale Prinzip der Demokratie ein, daß die Staatsgewalt vom Volke auszugehen hat. Dieses Grundrecht, das sich mit Abstimmungen und Wahlen gesetzlich niederschlägt (Art. 20 Abs. 2 GG), wird uns jedoch teilweise verwehrt. Bisher sind nur Wahlen so geregelt, daß sie auch durchgeführt werden können. Der Parteienstaat hat sich ein unzulässiges Nachtmonopol aufgebaut. Dieses ist verfassungswidrig, undemokratisch und nicht länger so hinzunehmen. Die Aktion Volksentscheid hat konkrete Gesetzesentwürfe ausgearbeitet, die dem Volk die ihm gebührende Gewalt zurückgeben sollen. Aber wen wundert es, daß eine erste Petition abgeschmettert wurde. Schon in den siebziger Jahren hatte sich eine Enquete-Kommission mit den Formen der direkten Demokratie zu beschäftigen, als Reaktion auf die Studentenunruhen von 68. Das Ergebnis war abschlägig. Eine zweite Petition der Aktion Volksentscheid vom 23. Mai 1987 forderte einen neuen Untersuchungsausschuß, warf der alten Kommission vor, schlampig und oberflächlich gearbeitet zu haben und regte eine Volksabstimmung am 23. Mai 1989 an. Da jedoch zu befürchten stand, daß aus Bonn wenig Interesse an solch einem Vorhaben besteht, bereitete die Initiativgruppe eine eigene Abstimmung vor. Alle Zeichen aus Bonn deuten darauf hin, daß die Aktion Volksentscheid weitere Schritte machen muß. Am 9. Januar begann deshalb die Initiative “Volksentscheid zum 23. Mai 1989“, dem 40. Jahrestag der Gründung der Bundesrepublik. In einem Aufruf wird die gesamte Bevölkerung aufgefordert, die Petition zu unterstützen und die Bonner Politiker zu drängen, das Abstimmungsrecht endlich gesetzlich zu regeln.




 

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