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Zum 100. Geburtstag von Ludwig Jacobowski

Am 2. Dezember 1900 verstarb 32jährig in Berlin der Dichter Ludwig Jacobowski. Er entstammte ärmlichen Verhältnissen des jüdischen Lebens von Strelno bei Posen. Schulzeit und Studium absolvierte er in Berlin, wo er auch später als Schriftsteller und Redakteur tätig war. Die jüdische und die deutsche Tradition zu vereinen war ihm ebenso ein Lebensziel wie die Universalität und Freiheit des Denkens. Letzteres hatte er mit Rudolf Steiner gemeinsam, mit dem er in Berlin zusammentraf und mit dem ihn eine lebenslange tiefe Freundschaft verband. Fred B. Stern, der Jacobowski-Biograph, schreibt über diese außergewöhnliche Beziehung: „Es gibt in der gesamten deutschen Literatur nicht allzu viele Beispiele einer so echten und schönen Freundschaft zweier Männer, wie diese, zwischen dem späteren Weltweisen von Dornach und dem armen Judensohn aus Strelno, der ein deutscher Dichter wurde.“ Rudolf Steiner selbst schätzte Jacobowski nicht nur als Freund und Mitstreiter bei diversen Tätigkeiten in der literarischen Hochburg Berlin, sondern vor allem auch als Dichter. „Der Name des Dichters Ludwig Jacobowski (...) wird stets einen ehrenvollen Platz in der deutschen Literaturgeschichte haben“ schrieb Steiner in einem Geleitwort zu einem der Bände, die er nach dem Tod des Freundes für ihn noch herausgegeben hat. Vieles Wertvolle, was wir heute über Jacobowski wissen, ist der Nachwelt nur erhalten, weil der Freund Rudolf Steiner nicht nur beredt Zeugnis ablegte von seiner hohen Meinung über ihn, sondern weil er auch aus dem Nachlaß unvollendete Manuskripte für die Veröffentlichung vorbereitet und herausgab. Eine vollständige Sichtung und Würdigung des Nachlasses steht allerdings noch aus.

Der ehrenvolle Platz in der deutschen Literaturgeschichte ist Jacobowski durch die Barbarei der Bücherverbrennungen, Künstler-Ächtungen und des Holocaust genommen worden. Schon zu Lebzeiten hatte der Kämpfer für eine gemeinsame jüdisch-deutsche Kultur mit heftigen Attacken aus dem antisemitischen Lager zu tun. Die wenigen Jahre der einheitlichen nationalsozialistischen „Leitkultur“ reichten aus, um den Verfechter der Universalität und des Pluralismus aus der Literaturgeschichte zu tilgen. Eines von leider so vielen Beispielen, wie tiefe Einschnitte in die mitteleuropäische Entwicklung der Nationalsozialismus mit sich brachte.

Heute gilt es, Ludwig Jacobowski wieder zu entdecken, ihm auch seinen angestammten Platz in der Literaturgeschichte wiederzugeben. Und das ist auch Anliegen einer Jubiläumsausgabe, die zum 100. Todestag des Dichters im Igel Verlag aus Oldenburg erschienen ist.

Endlich sind die erfolgreichsten und schönsten dichterischen Werke wieder erhältlich! Etwa die  Gedichtssammlungen „Funken“, „Aus Tag und Traum“ und „Leuchtende Tage“; die Romane „Werther, der Jude“ und der großartige „Loki, Roman eines Gottes“; und natürlich auch die Erzählungen und Kurzprosa. „Einfachheit in der Auffassung der Welterscheinungen, Harmonie in der künstlerischen Gestaltung und Tiefe in der denkenden Betrachtung der Natur und des Menschen“ – so charakterisierte der Freund Rudolf Steiner den Dichter Jacobowski; Wer seine Werke liest, findet das Urteil schnell bestätigt.

Von den Aufsätzen und Artikeln, von den vielen literaturkritischen Schriften ist leider nur weniges in die Jubiläumsausgabe gelangt. Und auch die beigefügte Bibliographie ist leider (sie basiert, wenn auch nicht ausgewiesen, auf der handschriftlichen Veröffentlichungsliste Jacobowskis) unvollständig und fehlerhaft. Daß hier Einträge auftauchen wie: „Fr...mann. <Titel unleserlich>. In: Blätter für literarische Unterhaltung 1895, Bd. 3“ ist einfach ärgerlich, da durch eine Recherche der Titel leicht zu ermitteln ist. Hier wäre noch so einiges zu leisten, wäre auch die Stellung und Bedeutung von Ludwig Jacobowski für das mitteleuropäische Geistes- und Kulturleben noch zu erforschen. Ein Unterfangen, das den beiden Herausgebern, obzwar beide akademische Befähigungen nachweisen, dann doch wohl zuviel gewesen ist. Ihre Arbeit beschränkte sich auf eine zweiseitige editorische Notiz. Sei es drum: für Freunde des Dichters Jacobowski ist die Jubiläumsausgabe allemal ein Grund zur Freude. 

Ludwig Jacobowski: Werke. Jubiläumsausgabe, herausgegeben von Alexander Müller und Michael M. Schardt; Igel Verlag, Oldenburg 2000, 1212 Seiten

(Erschienen in der Wochenschrift “Das Goetheanum”)

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