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Novemberhände

Für Adelheid aus Bad Berleburg

Sie nahm seine kalten Finger in ihre Hände,  streichelte sie zart und sagte dabei:  Novemberhände.  Er schwieg und lauschte, wie dieses Wort in sein Herz eindrang.

 Er fühle den Spätherbst in seinen Fingern: Kalte, feuchtblaue Nebelschleier zogen umher, die letzte Wärme verbergend, und die Haut bedeckte sie wie erster Schnee. Und er fühlte: auch ihre Finger waren kühl. Sie schlangen ihre Finger ineinander, ein gegenseitiges schutzsuchendes Festhalten vor der erstarrenden Kälte, ein Aneinanderklammern eisiger Hände — Novemberhände.

Sie lehnten an einer kalten Häuserwand. Durch das Gemäuer kam der dumpfe Klang von Trommeln. Trat man durch die Türe, konnte man die vollständige Musik hören. Drinnen auf der Tanzfläche hatten sie sich getroffen. Sie hatten getanzt im lustigen Geflacker vielfarbiger Lichter, hatten gelacht und sich treiben lassen in der jungen Menschenmenge. Nun saß er an die feuchte Mauer gelehnt,  dieses Mädchen in seinen Armen. Ihm war kalt und er fühlte sich unsagbar müde. Obwohl sie miteinander plauderten, war jeder alleine. Sie wußte ja nicht, wie er wirklich war. Um dieses zu erfahren mußte sie ihn von Innen sehen. Dazu aber war nötig, daß er sie in sein Innerstes, sein Herz, hereinließ und dort einschloß. Dies erst würde ein wahres Bild von ihm ergeben.  Aber es war so unheimlich schwer, sein Herz zu öffnen. Sein Herz war auch für ihn ein so großes Geheimnis. Und irgend etwas drohte ihm die Wärme zu nehmen. Kalte Nebelschleier zogen durch seine Brust, und auf seinem Herzen lastete Schnee,  so daß es sich zusammenkrampfte, versteckte und zuschloß.

Doch während sich ihre Hände gegenseitig Wärme gaben, durchzog eine Ahnung seine Brust, daß die vielen Farben, der Spaß in dem Haus,  an dem er müde mit dem Rücken lehnte, der Pol zu seinem sich schließenden Herzen waren.

Sanft lehnte er seinen Kopf an ihre Schulter und lauschte, wie das Wort: Novemberhände in sein Herz klang und es einen kleinen Spalt weit öffnete.

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