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Verwandlung

Für Uwe, mit dem ich Zivildienst im Studienhaus Rüspe machte

Schulterlange Locken, die sein Gesicht umrahmten, strahlende Augen, eine Zigarette in der Hand und immer fröhlich. So kannte ihn jeder. Seine Arbeit machte er zuverlässig. Er leistete seinen Zivildienst in einem Gästebetrieb: Küche, Haus, Fahrdienste. Sein Vorgesetzter, der Hausmeister, war zufrieden mit ihm.

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Dann eines Tages trat die Veränderung ein:

Er schnitt sich seine Locken ab. bis auf wenige Zentimeter. Das Rauchen beendete er von Heute auf Morgen. Und eines deutete auch auf eine Veränderung in seinem Inneren hin: seine Augen. Sie strahlten nicht mehr wie früher, was dem ehemals jugendlichen Gesicht ein älteres, ernstes, fast hartes Aussehen gab.

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Er sollte die Küchenfrauen morgens von zu Hause abholen, sein Kollege dann mit ihnen das Frühstück bereiten. Irgendwann früh am Morgen, doch zu spät, weckte ihn sein Kollege, der schon ungeduldig in der Küche wartete mit dem Haustelephon. Dann fing er an Käse und Brot zu schneiden, Butter und Marmelade auszuteilen, Kaffee zu kochen. Nach und nach kamen dann die Frauen dazu. Sie stimmten spontan, wie so oft‚ herzhaft ein Lied an und gemeinsam schafften sie das Frühstück mit nur zehn Minuten Verspätung. Keiner beschwerte sich.

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Etwas ganz Neues kam auf ihn zu, etwas, was ihn fesselte und von seiner Umwelt ablenkte. Alle äußere Ausgelassenheit, aller Schabernack erschien ihm nun unwichtig, er begann sein Innerstes zu ordnen, zu pflegen. Dieses zog seine Aufmerksamkeit von der Umwelt ab. Alles, was er brauchte, war Zeit und Ruhe. Bei geregelten acht Stunden täglich fand er beides nicht. Er mußte die Zeit von seinem Schlaf abzweigen und arbeitete bis spät in die Nacht hinein an seiner persönlichen Entwicklung. Er war dann im Dienst müde und meist immer noch mit sich selbst beschäftigt. “Wo bist du denn nur mit deinen Gedanken“ lautete eine häufige Frage, die aber gleichzeitig doch keine Antwort hören wollte. Sein Vorgesetzter, der Hausmeister, war unzufrieden mit ihm.

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Er konnte Gitarre spielen - und gar nicht so schlecht. Oft hatten sie abends zusammengesessen, er und seine Kollegen, und er hatte dann Gitarre gespielt. Er hatte gespielt, wie es ihm in den Sinn kam, mal fröhlich, mal traurig. Schön war es gewesen. Nun hatte er sich entschlossen Musik zu studieren, mit seiner Gitarre. Oft saß er abends alleine in seinem Zimmer und übte eifrig und ernsthaft seine Stücke.

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Kalt war es am Heiligen Abend. Die sternenübersäte Nacht hatte Frost gebracht, der alles erstarren ließ. Kalt und klar zog der Morgen heran. Zwölf Minuten verschlief er heute nur. Die Küchenfrauen sagten nichts, arbeiteten etwas zügiger durch, und pünktlich stand das Frühstück auf dem Tisch. Alles wäre schön ruhig und weihnachtlich geworden, hätte nicht der Hausmeister gerade an diesem Morgen etwas bemerkt.

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Schon der Ton, wie der Hausmeister das “Guten Morgen“ über die Lippen preßte, als er wie üblich eine Viertelstunde zu spät zum Frühstück erschien, verhieß nichts Gutes. Seine Backenmuskeln waren hart angespannt. Dann ein eindeutiger Wink mit dem Zeigefinger:“ Komm du doch eben mit raus“. Er ging, und hinter verschlossener Tür hörte man heftige, laute Wortfetzen. Er kam dann erst nach einigen Minuten zurück. Langsam holte er seine Jacke vom Stuhl, ließ das halbe Brötchen, den Kaffee und die starren Mitarbeiter zurück und ging wieder hinaus. “In zehn Minuten bin ich unten“ wurde ihm hinterhergeworfen. Es wurden mehrere halbe Brötchen auf den Frühstückstellern hinausgetragen.

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Der Hausmeister war höchst unzufrieden mit ihm. “Ich habe ihn rausgeschmissen“ war vorläufig das Einzige, was man von ihm zu hören bekam. Später dann noch: “So, den Kerl hab‘ ich hier weggebracht, zum Bahnhof. Der kann mir nicht erzählen, daß er eine Stunde geduscht hat und dabei die Zeit vergessen hat, heute und gestern schon. So nicht, lieber mach ich das selber, dann habe ich meine Ruhe“

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“Aber doch nicht am Heiligen Abend“ sagte eine Frau aus der Küche. “Das Fest der Liebe und Freude“. Und dann bekam sie Tränen in den Augen: “Wir haben doch nichts gesagt, gestern nicht und heute auch nicht.“

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“Der war ganz anders, seit er sich die Haare geschnitten hatte und das Rauchen aufgehört hatte“ sagte eine andere Frau. “Aber man muß ihm doch helfen, nicht so...“

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“Schade, der war doch so fröhlich“ sagte ein Gast.

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Der Hausmeister hatte dann seine Ruhe in der Küche, in der er nun helfen mußte. Beim dritten Abendbrotabwasch war er doch deutlich mißgestimmt: “Na, es wird aber auch Zeit, daß die Anderen zurückkommen.“

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Tage später erst erklang wieder eine zaghafte Stimme aus der Küche, die ein Weihnachtslied anstimmte. Und zögernd fielen noch zwei andere Stimmen in die kleine Melodie mit ein.

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Nur einer ließ die ganze Aufregung ruhig an sich vorbeitreiben. Er feierte Weihnachten zu Hause und war froh über die unerwartete Ruhe und die Zeit, die er so plötzlich bekommen hatte, an seinem Menschtum zu arbeiten.

 

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