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Weihnacht

Eine Geschichte, die mir so von Frau Carstanjen erzählt wurde

Dunkle Schneewolken trieben durch das verschneite Gebirge. Im Schneetreiben stapfte mutig ein kleines Mädchen. In der Tasche hatte es Zündhölzer und in der Hand eine Kerze. Im Herzen hatte es ein Lied.

Es gelangte zu einer großen, schweren Holztüre. Laut knarrend öffnete sie sich einen Spalt weit, und das Mädchen schlüpfte hindurch.

Dämmrig war es im Stall. Die Schafe liefen unruhig durcheinander. Den ganzen Sommer waren sie auf der Wiese gewesen, hatten frisches Gras gefressen, waren gelaufen und gesprungen. Nun waren sie in diesem kleinen Stall zusammen und mußten trockenes Heu fressen. Aber als das Mädchen eintrat, legten sie sich ruhig auf die eine Seite des Stalles und sahen mit großen Augen zu ihm hin.

Die Hühner liefen aufgeregt durcheinander. Sie waren den ganzen Sommer über draußen gewesen, hatten im Wald, auf den Wiesen und um das Haus herum gescharrt. Nun waren sie in den kleinen Stall gebracht worden und hatten nur noch Stroh zu scharren. An einer Seite hatte der Vater des Mädchens Stangen angebracht, worauf sie sitzen konnten. Als das Mädchen eintrat, hüpften und flatterten sie nacheinander leise gackernd auf die Stange und blickten von dort aufmerksam und ruhig auf das Mädchen.

Die Tauben, die den ganzen Sommer hindurch in Schwärmen über das Land geflogen waren, konnten nun nicht mehr in großen Kreisen fliegen, nur noch ein bißchen durch den kleinen Stall flattern. Als das Mädchen eintrat, schwirrten sie alle leise gurrend auf ihre Stange hoch unter dem Dach, die der Vater des Mädchens für sie angebracht hatte. Auch sie blickten mit aufmerksamen Augen auf das Kind.

Zwei kleine Mäuschen raschelten noch neben den Schafen im Stroh, doch als es so still um sie geworden war, blieben auch sie ruhig sitzen und schauten erstaunt zur Tür.

Das Mädchen holte einen Armvoll Heu und legte es den Schafen hin. Den Hühnern und Tauben streute es Körner aus, von denen sich auch die Mäuse ein paar holen durften. Aber keines der Tiere fraß. Alle sahen erwartungsvoll auf das Mädchen.

Da holte dieses die Zündhölzer aus seiner Tasche, stellte die Kerze auf eine freie Stelle des Stallbodens und zündete sie an. Licht erfüllte den ganzen Raum und spiegelte sich in vielen dunklen Augen wider. Das Mädchen sang sein kleines, zartes Weihnachtslied,

öffnete dann leise die Tür und schlüpfte hinaus. Die Wolken waren verschwunden, und viele tausend Sterne blinkten auf die Erde hinab.

Jahre vergingen, ein Krieg zog durch das Land, das Mädchen wurde aus seiner Heimat gerissen, und viele Weihnachtsfeste wurden begangen. Der Stall stand schon lange nicht mehr.

Da nahte wieder das Weihnachtsfest. Schnee fiel in großen, weißen Flocken zur Erde, und der Wind spielte mit ihnen sein lustiges Spiel. Die Nacht zog heran. Eine alte Frau stapfte durch den Schnee in den Wald. Sie suchte sich einen umgestürzten Baumriesen und setzte sich nieder. Tiere hab ich nun nicht mehr zu versorgen, dachte die alte Frau, nun zünde ich mein Lichtlein für den Wald an.

Aus ihrer Tasche holte sie eine Kerze hervor, stellte sie vor sich auf den Boden und zündete sie an. Ein Rauschen durchbebte den Wald, als die Kerze ihren klaren, hellen Schein verbreitete. Die Flamme flackerte lustig im Tanz der Flocken, und der Wind blies eine weihnachtliche Melodie dazu. Und unter den Wurzeln der großen Bäume sahen viele unsichtbare Augen auf das schöne Licht.

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