Der Verleger Christoph Möllmann
Was ist das für ein Mensch, der im ausgehenden 20. Jahrhundert das Wagnis begeht und einen anthroposophischen Verlag gründet?
Ich wurde im Jahre 1963 in Schloss Hamborn geboren, damals eine kleine anthroposophische Enklave im ostwestfälischen Paderborner Land. Ich wuchs die ersten zweieinhalb Jahre als Mitarbeiterkind inmitten einer Heimgruppe auf. Danach bezogen meine Eltern ein eigenes Haus etwas abseits, fast mitten im Wald. Meine Eltern fanden aus verschiedenen Richtungen den Weg nach Hamborn: Mein Vater Gerhard war als Erstgeborener einer alten Handwerkerfamilie dazu bestimmt, den väterlichen Betrieb zu übernehmen. Er machte auch eine entsprechende Ausbildung, brach dann aber als erster der Familie im Zeitalter der Bewusstseinsseele aus den alten Traditionen aus und wurde Pädagoge. Der Betrieb wurde dann vom jüngeren Bruder weitergeführt. Als Pädagoge ließ mein Vater viel seiner handwerklichen Begabungen in den Unterricht einfließen. Einiges von seiner Hand Geschaffene kann man in Hamborn noch sehen.
Meine Mutter stammt aus einer Familie, in der Kunst und Schauspiel, aber auch die Pädagogik ihren festen Platz hatte. Als ausgebildete Musikerin kam sie „kurz“ nach Hamborn und übernahm wenig später eine Gruppe mit Kindern, die sie bis zum erwähnten Umzug ins eigene Familienheim führte. Beide Familienströme sind bei mir zusammengekommen.
Zwei Jahrsiebte besuchte ich in Hamborn die Waldorfschule, ehe ich sie mit einem Abitur in der Tasche verließ. Die Handwerkliche und musische Ausrichtung entsprach meinen mitgegebenen Begabungen, in den letzten Jahren vor allem in den naturwissenschaftlich-mathematischen Fächern. Und noch etwas haben dies Jahre in der Waldorfschule bewirkt: sie haben mich zu einem durch und durch eigenständigen Menschen geformt.
Meinen Fähigkeiten entsprechend schien ein Studium der Physik, Mathematik oder Informatik vorgeschrieben zu sein. Doch vor dieser Entscheidung lag noch der Wehrersatzdienst. Die damals noch übliche Gewissensprüfung belegt, wie eigenständig ich bereits gegen übliche Normen verstieß, denn auf die üblichen Prüffragen antwortete ich durchaus wie ein „normaler“ Wehrtüchtiger. Erst in der zweiten Instanz gelang es mir, der Kommission deutlich zu machen, daß Gewissen sich nicht durch Taten abfragen und belegen läßt, sondern eine durchaus geistige Instanz mit reflektierendem Charakter ist. Ich bin mir sicher, daß die Mehrzahl der Prüfer bei dieser Gelegenheit erstmals die Idee der Reinkarnation zu hören bekam.
Meinen Ersatzdienst leistete ich dann von 1984 bis 1985 im Studienhaus Rüspe ab.
In dieser Zeit begann ich, in verschiedenen Zeitschriften zu veröffentlichen, Gedichte und Prosa, aber auch Kritiken und Aufsätze. Und schon gegen Ende dieser Zeit war ich ein ständiger Mitarbeiter der Paderborner Literatur- und Kulturzeitschrift „TIPex“ geworden.
Für viele etwas unerwartet bewarb ich mich in dieser Zeit um einen Ausbildungsplatz bei verschiedenen Verlagen. Einige meiner jetzigen Kollegen haben mir damals Absagen schicken müssen, weil einfach nicht ausgebildet wurde oder die Stellen schon belegt waren. Die Entscheidung, ein Studium zu beginnen in den Fächern Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft und Philosophie, kam für viele Bekannte aber dann doch überraschend. Für mich nicht. Ich folgte einer inneren Logik. Im Laufe des Studiums schnupperte ich dann noch ein fast komplettes Anglistik-Grundstudium und wechselte nach fast drei Jahren noch von Philosophie zu Medienwissenschaften. Grund waren unüberbrückbare Auffassungen weltanschaulicher Art, die mir in dem sehr kleinen Fachbereich den Weg zu Leistungsnachweisen versperrten. Im Bereich der Sprachwissenschaft allerdings landete ich mit einer Argumentationsanalyse zur Volkszählung 1987 einen Treffer (ich bekam auch den entsprechenden Leistungsnachweis). Nach dieser Arbeit stand für mich fest: da mache ich nicht mit, komme was wolle. Unter uns StudentInnen war eine Verweigerungshaltung gegenüber der Volkszählung berechtigterweise sehr hoch. Doch je näher die Zählung kam und spätestens, als der Zähler zum zweiten Mal im Hausflur stand, haben alle (soweit mir bekannt) meine Kommilitonen den Bogen ausgefüllt!! Nur ich blieb beharrlich und blieb standhaft, bis die zuständige Zählstelle in der Gemeinde Borchen aufgab. Jahrelang hingen die Codestreifen der Zählbögen noch wie Trophäen an meiner Pinwand. Ich erzähle das, weil diese beharrliche Haltung zu meinem Naturell gehört.
Politisch habe ich mich an der Hochschule dann auch betätigt, und eben nicht nur so ein bisschen, sondern voll und ganz. Meinen Einstieg in die aktive Hochschulpolitik feierte ich mit dem Sturz des amtierenden AStA-Vorsitzenden. Ein Flugblatt – und zwei Wochen später war der weg vom Fenster. Er hat übrigens später eine unrühmliche Karriere als Kleinkrimineller und Betrüger hingelegt.
Bald hatte ich dann auch Verantwortung und Ämter, war zwei Jahre lang Mitglied des Allgemeinen Studentenausschusses (AStA) in der Funktion des Referenten für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Diese Tätigkeit brachte mit so manche Meldung in den heimischen Zeitungen, sogar bis in die BILD-Zeitung bin ich gekommen. Am schönsten war ein Leitkommentar einer konservativen Lokalzeitung, die in mir das „letzte Bollwerk des Kommunismus an bundesdeutschen Hochschulen“ erkannte. Zur Zeit der studentischen Proteste gegen die miserable Bildungspolitik im Herbst 1988 war ich verantwortlich für Organisation und Durchführung der größten Demonstration, die Paderborn seit den Fackelzügen der Nationalsozialisten gesehen hat: weit über 2000 StudentInnen versammelten sich auf dem Rathausplatz und machten ihrem Unmut lautstark Luft.
Übrigens habe ich direkt nach dem Fall der Mauer mit meinen damaligen Mitreferenten Beziehungen geknüpft zu Studenten in Karl-Marx-Stadt, wie es damals noch hieß. Wir unterhielten eine Weile eine rege Verbindung, nicht nur in Fragen der Selbstverwaltung, sondern leisteten auch finanzielle Hilfe, sammelten Material und besuchten uns gegenseitig. In dieser Zeit wurden meine Aufsätze auch hundertfach in Karl-Marx-Stadt verteilt.
Erfahrungen machte ich auch mit der sogenannten Parteiendemokratie. Wie ein kleines Bild der großen Politik (wenn auch beweglicher) ist die Selbstverwaltung an bundesdeutschen Hochschulen geregelt. Und der Parteienkrieg wird auch hier schon fleißig eingeübt. Entsprechende Erfahrungen sammelte ich in den verschiedensten Gremien, bis hin zum Senat der Hochschule. Und zunehmend konnte ich meinen Widerwillen gegen die Kungelei, das Macht ausüben und die Entscheidungen aus Parteikalkül heraus nicht mehr verbergen. Zunehmend eckte ich auch mit meiner Meinung an, einmal ging ein Streit sogar bis zur Staatsanwaltschaft. Das war allerdings auch eine recht lustige Erfahrung (entzündet hatte sich der Streit an einer harschen Kritik meinerseits an einer ungerechtfertigten Schuldzuweisung in einer steuerrechtlichen Problematik), denn als die Staatsanwaltschaft eine polizeiliche Vernehmung anordnete, ging ich mit meinen Unterlagen zur Polizei und nach gemeinsamer Lektüre meiner Unterlagen und der Anschuldigung, die zur Untersuchung geführt hatte, lachten der Polizeibeamte und ich eine geraume Zeit über soviel Realitätsferne und über die Unstimmigkeiten in der Anklageschrift. Damit war die Sache dann auch erledigt, meine erste Erfahrung mit der Polizei konnte besser nicht sein.
Viel interessante Begegnungen habe ich in dieser Zeit gehabt, herausheben möchte ich die kurze, aber wesentliche mit Robert Jungk anlässlich eines Vortrages, den er auf unsere Einladung hin gehalten hat.
Eine regelmäßige Öffentlichkeitsarbeit gehörte zwei Jahre lang zu meinen Aufgaben. Zum einen eine überparteiliche als Vertreter aller Studenten, dann aber auch noch eine regelmäßige als Vertreter einer hochschulpolitischen Gruppe und später habe ich für eine große bundesweite Studentenzeitung noch in eigener Verantwortung einen Regionalteil herausgegeben und betreut. In der ganzen Zeit habe ich auch immer wieder literarisch und kulturbegleitend publizistisch gearbeitet, für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften. Im Rahmen der Arbeit bei „TIPex“ haben wir auch viele Veranstaltungen durchgeführt, zu den größten gehörten die jährlichen Kulturfeste, die über ein ganzes Wochenende gingen und arbeitsintensiv aber auch spannend waren. Einmal gehörte auch Rüdiger Hofmann zu den Künstler, damals aber noch als kleine Lokalgröße. Auch in der Hochschule fanden sich Kulturinteressierte zusammen, die regelmäßig Veranstaltungen durchführten.
Durch die Zeitschriftenarbeit hatte ich einen regen Kontakt zu Druckereien. Nach meiner zweijährigen Hauptarbeit in der Hochschulpolitik fing ich an, bei einer Druckerei nebenher zu arbeiten. Einige Jahre war ich im Zusammenhang mit der Druckerei Layouter und Büroleiter für ein lokales Computermagazin und lernte dort auch die Praxis kennen.
Die Anthroposophie lernte ich kennen, indem ich in ihr aufwuchs. Meine Großeltern mütterlicherseits waren bereit der Anthroposophie verbunden. Für mich war es keine Neuentdeckung, sondern eher eine Konsequenz meiner eigenen Entwicklung, daß ich selbst auch Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft wurde. Ich habe nur wenige Tagungen und Großveranstaltungen mitgemacht, einige waren für mich durchaus entscheidend:
Die Tagung der Jugendsektion zum Jahreswechsel 1986/87 (seit Januar 1987 Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft, Oktober 1989 auch Mitglied der 1. Klasse der Freien Hochschule) mit Jörgen Smit zum Thema: „Geistesschulung und Lebenspraxis – die Grundstein-Meditation als Zukunftsimpuls“ und dann im November 1989 in Stuttgart die Tagung „Anthroposophie und soziale Zukunftsgestaltung“ die kurz nach dem Fall der Mauer wie zufällig tagesaktuell war und an deren Rand die Gründung des „Netzwerk Dreigliederung“ stattfand, wo auch ich dabei war.
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